Therapie
03.05.2021
Teletherapie fördert das Selbstmanagement der Patienten
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Neue Physio-Welt
Corona hat so manche Entwicklung nach vorne gebracht, so auch die Teletherapie. Marco Stahn, Physiotherapeut in München, erzählt von seinen Erfahrungen, in der Einzel- wie Gruppentherapie.
Lebenslanges Lernen ist für Marco Stahn keine leere Worthülse. Er arbeitet als Therapeut, Personal Trainer und als Gesundheitscoach. Mit seinen Angeboten richtet er sich an Selbstzahler, Privatpatienten und all diejenigen, die langfristige Gesundheitsziele verfolgen.
Ständiges Lernen nimmt er auch für sich selbst in Anspruch. So absolviert der Therapiewissenschaftler derzeit sein Masterstudium in Physiotherapie an der ZHAW in Zürich, in der Schweiz. Seine Offenheit über Grenzen hinweg führt ihn auch in der Therapie auf neue Wege: die Teletherapie. Sie kommt seinen Grundprinzipien entgegen, die in der Patientenzentrierung, Lösungsorientierung und unter anderem
im Coaching zum Selbstmanagement liegt.
TT-DIGI: Wann setzten Sie die Teletherapie zum ersten Mal ein?
Marco Stahn: Im März 2020, mit Corona, als der direkte Kunden- bzw. Patientenkontakt kaum möglich war. Die Einzeltherapie war nur eingeschränkt erlaubt und die Gruppentherapie wurde gänzlich gestoppt. Da ich in beiden Bereichen aktiv bin, als Übungsleiter im Rehasport als auch als Physio in der Einzeltherapie, versuchte ich auf beiden Ebenen meiner Arbeit, das mit Videokonsultationen aufzufangen. Dadurch merkte ich, dass um mich herum sehr viel passiert.
Auf der einen Seite die ganz normale Videotelefonie-Möglichkeiten, aber auch Tools und Apps, die man begleitend nutzen kann. Zum Beispiel mit Erinnerungsfunktionen oder der Möglichkeit, praktische Übungsmaterialien zu hinterlegen. Somit erhalten Patienten oder Klienten ein sinnvolles und sehr individuelles Programm für sich. Die Videomöglichkeit erlaubt dem Therapeuten eine 1:1-Betreuung live und in Farbe, ähnlich wie es im direkten physischen Kontakt wäre. Am Anfang ist es gewöhnungsbedürftig, aber mittlerweile nehmen das viele sehr dankbar an.
TT-DIGI: Wie nutzen Sie so eine App in der Therapie?
Marco Stahn: Ich schalte für den Kunden einen Account frei und hinterlege dort Übungen, die wir innerhalb der 1:1-Konsultation besprochen haben. Ich stelle als Therapeut die Übungsfrequenz, die Wiederholungsanzahl ein, achte darauf, dass die Übungen für das aktuelle Problem des Patienten adäquat ausgewählt sind. Der Patient ist über diesen Account mit dem Programm verlinkt, das den Patienten an seine Übungen erinnert. So ist gleichzeitig ein wichtiges Ziel in der Therapie zu erreichen, nämlich die Regelmäßigkeit in der Durchführung. Das ist ja ein Knackpunkt in der Therapie!
In Bezug auf die sogenannte Langzeitadhärenz, das ist das Zauberwort der Zeit, sind wir in der Teletherapie jedoch noch nicht sehr viel weiter als in der herkömmlichen Therapie. Das dauerhafte Dranbleiben geht häufig weder mit der Teletherapie noch mit der physischen Direktkontakt-Therapie derzeit über ein Jahr hinaus. Die Teletherapie ist noch nicht der Weisheit letzter Schluss, am Ende, so glaube ich, wird es eine Kombination aus beidem sein.
TT-DIGI: Wie könnte so eine hybride Therapie aussehen?
Marco Stahn: Es gibt verschiedene Wege. Der Erstkontakt könnte innerhalb der Praxis stattfinden und dann weiterführend über teletherapeutische Mittel. Das müssen nicht immer Hausaufgaben und Übungen sein, denn viele Patienten haben erst einmal grundsätzlich einen hohen Aufklärungsbedarf. Das verbale Führen ist ein wichtiger Aspekt in der Therapie. Auf therapeutischer Ebene wird – auch in der Ausbildung
– das Thema Kommunikation verstärkt aufkommen. Das läuft beispielsweise wunderbar über Videokonferenzen.
Und parallel dazu kann man Übungen vorführen, kann sie sich zeigen lassen, kann sie innerhalb einer Videokonsultation begutachten. Das ist sowohl in der Praxis als auch per Video möglich.
TT-DIGI: Sodass Sie Patienten behandeln könnten, die nicht in die Praxis kommen können?
Marco Stahn: Ich denke nicht nur an gebrechliche Leute. Auch diejenigen, die einfach in einer anderen Stadt wohnen und Interesse haben, mit einem bestimmten Therapeuten zu arbeiten.
TT-DIGI: Das könnte im Sinne einer Adhärenz die Therapeuten-Kunden-Bindung intensivieren?
Marco Stahn: Absolut. Wer sich bewusst ist, dass er als Therapeut eigentlich in vielerlei Hinsicht nur eine Unterstützung, ein Coaching, eine Begleitung anbieten kann durch Übungen, die der Kunde selbst durchführen muss, für den hat die Teletherapie einen riesen Mehrwert! Patienten und Kunden sind letztlich nicht mehr gezwungen ihren normalen Lebensraum zu verlassen, sondern sie können innerhalb ihres
Lebensraums Therapie erhalten und das sehr individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten.
Es ist viel wichtiger, Therapie in der jeweils aktuellen Lebenssituation zu erhalten, als immer irgendwo hinzufahren. In einem Raum zu sitzen, der ihrem Raum zu Hause gar nicht entspricht. Teletherapie individualisiert die Therapie in einem Umfang, wie man sich das zuvor so gar nicht vorstellte. Es ist noch nicht genug betont worden, dass die Leute dort abgeholt werden, wo sie leben und sich eigentlich zu Hause fühlen.
Anders ist es in der Gruppentherapie. Ich bin Übungsleiter von drei Krebssportgruppen. Wir führen den Rehasport online weiter. Das ist jetzt das Mittel der Wahl und ich bin bisher sehr zufrieden. Wir haben eine stabile Anzahl von Patienten, die mitmachen, und es macht Spaß. Klar, alle wünschen sich den direkten Kontakt zurück, sie wünschen sich den Austausch, das Soziale. Aber sie sagen sich: besser als nichts.
TT-DIGI: Welche Indikationen haben Sie via Teletherapie behandelt?
Marco Stahn: In der Einzeltherapie vorwiegend orthopädisch, vom Schulter- über Hüft- bis hin zu Knieschmerzen. Es geht vor allem um Arthrose, um Erkrankungen, die mit Schmerzen und Bewegungseinschränkungen einhergehen, die gut mit therapeutischen Interventionen begleitet werden können.
TT-DIGI: Ist nicht gerade beim Schulterschmerz eine Online-Behandlung schwierig?
Marco Stahn: Ich meine, man kann mit Eigenbewegungsübungen genausoweit kommen wie mit manueller Therapie. In Bezug auf das Selbstmanagement und wie gehe ich selbst mit meiner Krankheit und mit meinem Körper um, finde ich tendenziell den Weg des selbstständigen und angeleiteten Übens für das längerfristige Dranbleiben wesentlich zielführender als manualtherapeutische Interventionen.
Es ist notwendig, dass Patienten selbst aktiv werden. Wenn die Schmerzen wieder schlimmer werden sollten, können sie sich dann auch selbst helfen. Das ist das, wohin international der wissenschaftliche
Weg geht. Das Mobilisieren braucht es gar nicht immer. Patienten wiederum sind erstaunt, wie viel sie mit simplen Schulterbewegungen schon den Griff bekommen können. Oft trauen sie sich nicht und es ist die Aufgabe des Therapeuten zu sagen: Ich schaue ihnen einmal zu und sie sagen mir, ab welcher Stelle es anfängt wehzutun.
Wenn ich dem Patienten Selbstvertrauen gebe, ihn darin bestärke, es einmal selbst auszuprobieren – nach dem Motto, es kann nichts passieren, sie können nichts kaputtmachen – dann funktioniert das. Und das kann ich in der Praxis faktisch genauso gut umsetzen wie teletherapeutisch.
TT-DIGI: Wie steht es mit Korrekturmöglichkeiten?
Marco Stahn: Ich sehe Bewegung selten unabhängig von Alltagsbewegungen. Ich würde also gar keine neuen Übungen mit ihnen anschauen, sondern mit ihnen das durchspielen, was die Schmerzen hervorruft und für sie aber wichtig ist. Lassen Sie uns die Bewegung machen, nur in abgeschwächter Form. Da gibt es weniger falsch oder richtig, sondern vielmehr eine Trainingssteuerung – und zwar beispielsweise die Geschwindigkeit rausnehmen. Wenn ich von Patienten oder Kunden eine Kniebeuge sehen möchte, sage ich nie, wie eine aussehen soll, sondern frage, wie sie eine machen würden.
Ich schaue weniger auf Fehler, sondern darauf, was geht, und betone das.
Es muss nicht alles perfekt sein. Ihr Ziel ist es, sich wieder bewegen zu können und Spaß zu haben. Als Therapeut begleite ich meine Patienten und Kunden auf diesem Weg – auch teletherapeutisch. Die Übungen machen sie selbst – also: Selbstmanagement.
TT-DIGI: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Zoom-Interview führte Reinhild Karasek.
Bildnachweis Aufmacher: shutterstock_1691055178_ fizkes
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